Eine Kurzgeschichte von Joachim Speidel
Kennen Sie Marlon Brando? Ja? Ein ganz großartiger Schauspieler. Aber, scusi, er ist ein Schwein, no, no, no – ich muss mich korrigieren: Er isst wie ein Schwein. Ich meine – im Sinne von Essen. Sie verstehen ... capisci?
Woher ich das weiß? Nun – ich habe für ihn gekocht. Die ganze Zeit über während der Dreharbeiten zu dem Film »Apokalypse Now«.
Francis, ich meine den Regisseur Francis Ford Coppola, er ist ein guter Freund des Stiefbruders eines Neffen der Schwägerin meines Großvaters in Sizilien, er hat mich engagiert, um für Brando zu kochen.
Marlon, so hat er gesagt, sei ein schwieriger Mensch und ein schwieriger Esser. Außerdem sei er zu dick. Also brauchte er einen Koch, der hervorragend kocht, dessen Speisen aber so ausgewogen sind, dass man nicht zunimmt. So kam Francis auf mich, denn er liebt meine Küche.
Ich fühlte mich natürlich geschmeichelt, aber ich sah es auch als eine Herausforderung an.
Denn – die Dreharbeiten fanden auf den Philippinen statt. Für mich als Chefkoch eine fast unlösbare Aufgabe. Wie bringt man all die Bestandteile, all die Zutaten, die Kräuter, die Gewürze meiner Küche auf die Philippinen? Aber ich will es kurz machen – ich habe es geschafft.
Dort lernte ich dann auch Marlon Brando kennen. Er war ja früher ein richtiger sportlicher Mann gewesen. Statur eines Boxers. Aber jetzt – un ragazzo grasso. Ein fetter Kerl.
Er pflegte in seiner Hotel-Suite zu essen, weit abseits der übrigen Film-Entourage. Einen Wohnwagen durch und durch aus Edelstahl, in dem meine Küche untergebracht war, hatte Francis genau vor dem Hotel platziert.
Dort bereitete ich Brando dann ein Menü zu. Als Antipasto: Crostini alla toscana. Danach eine Minestra di riso als Suppe. Als Primo Piatto Tagliatelle col pesto. Als Secondo Piatto Tonno alla Marinara und als Dolce, als krönenden Abschluss: Mantecato di melone. Und als passende Begleitung dieses Mahls hatte ich drei Weine aus Sizilien ausgesucht.
Aber was machte Brando? Er fraß alles in sich hinein, mit einer gelangweilten, teilnahmslosen Miene. Er sagte kein Wort, schmatzte und schlang und soff eine Flasche nach der anderen leer.
Und als er mit Fressen und Saufen fertig war, winkte er mich heran, deutete auf das Geschirr und gab mir mit einem kaum wahrnehmbaren Wedeln seiner schlaffen Hand das Signal, ich könne nun abräumen und mich dann verpissen.
Ich dachte mir, oh, oh, oh, auch wenn Signore Brando ein wunderbarer Schauspieler ist, scheint er doch un vero stronzo zu sein, ein echtes Arschloch. Aber was soll’s.
Am nächsten Tag – ein anderes Menü, jedoch das gleiche Spiel. Wieder fraß und soff er wortlos alles in sich hinein.
Und so ging das Tag für Tag.
Als Francis mich dann einmal fragte, wie es mir mit Brando so erginge, klagte ich ihm mein Leid und meldete vorsichtig Zweifel an hinsichtlich Brandos Begeisterung für den Film. »Francis«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob Brando Lust hat, den Film zu machen.«
Aber Francis rollte nur mit den Augen. »Das verstehst du falsch. Wenn Marlon kein Wort spricht, dann heißt es nicht, dass er keine Lust hat, dann heißt es, dass er sich in dem Text verliert, dass er die Szene verinnerlicht. Er ist ein Genie.«
»Mit Verlaub, Francis«, sagte ich. »Ich habe weder gesehen, dass er einen Text liest, noch dass er irgendwas geredet oder geprobt hat.«
Francis’ Augen leuchteten. »Genau das macht ein Genie ja aus. Man erkennt es nicht.«
Na ja, ich muss gestehen, ich hatte irgendwann genug von Brandos Desinteresse an meinem Essen. Ich dachte mir: Baciami il culo – leck mich doch am Arsch! Und dann setzte ich ihm das Essen vor, das es auch in der Kantine für die anderen amerikanischen Filmschauspieler gab. Hamburger und Steaks und so Zeugs, von dem selbst Ratten Durchfall bekommen.
Anfangs schien Brando den Unterschied nicht zu bemerken, aber dann registrierte ich, dass sich etwas in seiner Miene veränderte. Seine Augen weiteten sich, er starrte auf sein Essen, runzelte schmerzerfüllt die Stirn, strich sich mit seiner fetten Pranke wieder und immer wieder über seinen glatt rasierten und polierten Schädel und murmelte vor sich hin: »Das Grauen! Das Grauen!«
Und wie ich so dachte, schau an, schau an, er weiß ja doch, was gutes und was schlechtes Essen ist, stieß mich Francis, der zufällig zu uns hereingeplatzt war, mit dem Ellenbogen an und sagte bewundernd: »Hab ich es dir nicht gesagt? Er kennt seinen Text. Und wie er ihn kennt!«
2017
öl, acryl, leinwand
160 x 115
cm