Das Quellfoto stammt von Ilse Ruppert, Fotografin aus Berlin, sie hat in den achtziger Jahren sehr viele Musiker und andere Künstler fotografiert.
Iggy Pop war bei der Aufnahme in Hamburg, zur Zeit, als er mit David Bowie in Berlin gelebt hat, und wartet dort auf seinen Auftritt.
Ilse Ruppert sollte Ihn fotografieren, als sie die Tür öffnete, fragte er:
"Wo ist mein Kokain?"
In diesem Moment ist das Foto entstanden.
Eine Kurzgeschichte von Kai Bliesener
Da sitzt er. Zottelige Mähne,stoppeliger Bart und das Selbstbewusstsein eines Mannes, der schon viel in seinem Leben gesehen hat.
EineSchale mit bunten Gummibärchen zwischen uns auf dem Tisch. Iggy Popgrinst breit.
„Greif zu, Kleiner“, meint er. „Weißt Du Gummibärchen, das ist dievielleicht letzte meiner verbliebenen Süchte.“
Wir haben uns für ein kurzes Interview in einem kleinen Hotelzimmer in Schorndorf verabredet, vor seinem Konzert in der Manufaktur am Abend.
Esist mein erstes Interview mit ihm. Eigentlich mein erstes größeres Interview überhaupt, seit ich von einem Stadtteilmagazin der Landeshauptstadt zur Kulturredaktion der Kreiszeitung gewechselt bin. Und dann gleich der Godfather des Punk höchstpersönlich. Meine Fragen habe ich zum Glück notiert und mein Stift kreist nervöser als üblich über dem Block. Die andere Hand folgt der Aufforderungin die Schale zu greifen, während mich die blauen Augen durchdringend mustern.
Kerzengerade hockt er da, mit seinen über 70 Jahren. Ein lässiges Muskelshirt zeigt viel von dem schlaksigen Körper, der so ausgemergelt wirkt, wie der eines Marathonläufers. Dabei ist er höchstens ein Marathonmusiker, einer der schon seit den 1960ern mitmischte im Business. Obwohl er zumindest die Musikwelt längst verändert hat, strotzt er vor Energy wie mancher Künstler nicht mal am Anfang seiner Karriere.
"Ja, Kleiner, ich bin ein Rockstar. Ich habe Kokain, Heroin, LSD, Marihuana, MDMA und den ganzen Scheiß genommen – außer eben Viagra, das hab ich nie gebraucht“, beginnt er zu erzählen, bevor ich mit vollem Mund überhaupt die erste Frage stellen konnte und schaut dabei versteinert drein, wie eine Mumie aus dem Tal der Könige. Doch aus den Augen, da glaube ich den Schelm blitzen zu sehen. Nur kurz, aber ich bin sicher, er amüsiert sich darüber, auf die blauen Pillen bis heute verzichten zu können. „Und der Rest ist lange her",erinnert er sich nach kurzer Pause weiter.
Die Gelatinemasse wirkt wie Klebstoff zwischen meinen Zähnen und ich bin dankbar, dass der letzte echte Punk in Plauderlaune ist.
„Glaub mir, Kleiner, Drogen sind wie Ratten. Sie kommen durch jede Ritze deines Lebens und drängen sich in deinen Körper, wie in einen stinkenden Kanal und dann, dann fressen sie Dich auf. Bei lebendigem Leib. Und Du kannst dabeizusehen.“
Ich schlucke hart. Irgendwie schmecken die Bärchen mit einem Mal etwas seltsam. Aber ich kaue tapfer weiter, damit wir bald mit dem echten Interview beginnen können.
Iggy nimmt sich ein grünes und ein rotes Bärchen, quetscht sie von allen Seiten und schaut sie lange mit leicht entrücktem Blick an, ehe sie eins nach dem anderen in seinem Mund verschwinden, wie kleine Fische im Maul eines Hais.
Mittlerweile greife er neben Gummibärchen nur noch auf eine Sache zurück, plaudert er weiter. "Ich habe immer Augentropfen dabei, danach bin ich wirklich süchtig".
Jetzt stellt er von jeder Farbe ein Bärchen auf die Tischplatte. Eine kleine Gummibärenprade.
"Man braucht Drogen, um die Spießigkeit der Existenz als weißer Amerikaner abzustreifen. Nur damit kam man aus diesem ganzen Regelwerk heraus. Kann ein weißer Junge Blues spielen? Klar, wenn er bekifft genug ist."
Jetzt tippt er jedes Bärchen an, wirft es auf den Rücken, schnappt es dann mit den flinken Fingern eines Hütchenspielers, wirft es in die Luft und fängt es mit einer ruckartigen Kopfbewegung zwischen den Zähnen und zerbeißt es in der Mitte, wie ein Raubtier seine Beute.
Während er vernehmbar schmatzend auf den Bärchen herumkaut, erinnert er sich an seine Zeit in Berlin. An David Bowie, der ihm half, aus dem ganzen Drogensumpf fliehen zukönnen. „Wir wohnten damals zwei Jahre in einem Haus in Schöneberg“, meint der Sänger versonnen und wirft Bärchen nach. "Der ausserirdische Thin White Duke im Vorder- und der hyperaktive Punk im Hinterhaus. Er hat so gut wie möglich auf mich geachtet. Das wusste ich sehr zu schätzen“, erzählt Iggy Pop mit spitzbübischem Lächeln im faltigen Gesicht. „Wir waren zwei drogensüchtige Freunde, die eigentlich am Ende ihrer Kräfte sind, aber die Musik hat uns auf wundersame Weise kuriert.“
Seinen Drogenkonsum habe er zu Beginn des neuen Jahrtausends eingestellt, sagt Pop entschieden und seine Faust saußt auf ein liegendes Bärchen nieder wie eine tonnenschwere Presse. „Ich hörte auf zu rauchen und habe seitdem nie mehr irgendeine Droge angerührt. Außer Gummibärchen.“
Dabei wirkt sein Blick aus den blauen Augen so frisch und klar wie ein Schweizer Bergsee.
Beim Blick auf die Uhr erschrecke ich und sehe, dass meine Zeit gleich um ist. Und wie auf Kommando streckt auch schon die hübsche Pressesprecherin ihren blonden Wuschelkopfzur Türe rein. „Time is running out“, kann ich von ihren schönen Lippen lesen, deren dynamischen Schwung sie mit dezentem Lippenstift nachgezogen hat. Einen Moment versinke ich darin, fürchte fast sowas wie Scheckverkehr zu sein. Dann verschwindet sie so lautlos, wie sie aufgetaucht war und ich bin zurück und sehe, wie mich Iggy Pop wieder mustert. Die Ellenbogen auf dem Knie aufgestützt, das übergeschlagene Bein in der verwaschenen Jeans wippend.
Dann durchfährt es mich wie ein Blitz. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich kein Wort mitgeschrieben habe. Auch die Digitalanzeige meines Aufnahmegerätes auf dem Tisch grinst mich nur mit einer fiesen und rättischen Null an. Keine Sekunde mitgeschnitten.
Mein Herz rutscht in die Hose. Ich habe es vergeigt. Mein erstes echtes Interview mit einem Weltstar. Und ich habe – nichts! Und morgen vielleicht nicht mal mehr einen Job.
Der blonde Wuschelkopf schiebt dennächsten Interviewpartner ins Zimmer, bleibt mit wiegender Hüfte ander offenen Tür stehen und winkt mich ungeduldig zu sich raus. Ihre Augen sehen, wie ich meinen leeren Block und das reglose Aufnahmegerät zusammenpacke und sehen aus, als wollten sie sagen: Pech gehabt.
Ich kann nicht anders, als einen letzten sehnsüchtigen Blick auf die Schale mit den Gummibärchen zu werfen.
Einsam liegt ein letztes weißes dort.
Iggy grinst. „Das wird schon noch 'Kleiner“, sagt er und wirft mir das letzte Bärchen zu, während der Wuschelkopf eine neue Schale auf den Tisch stellt und mir zuzwinkert.
2018
acryl, leinwand
160 x 210
cm