Fotos Vernissage: Rainer Carius
Das Abbild des Schreckens verführt zur Sentimentalität
Eröffnungsrede von Thomas Milz
Was ist das Thema, der „Inhalt“ der meisten in dieser Ausstellung zusehenden Gemälde von Jan F. Welker?
Es scheint auf den ersten Blick ganz der Schrecken, unsere Versehrtheit, Krieg und Zerstörung zu sein. Oft arbeitet der Künstler dabei nach fotografischen Vorlagen. Und die galten - bis vor kurzem - als genaues Abbild der Wirklichkeit. Ihnen wurde dokumentarischer Charakter zugesprochen. Wir schauen die Fotos an und sind betroffen, empört; sagen dann etwa: Krieg darf nicht sein! Oder: Kindern soll es gut geh’n!
Ich selbst war 2016 für eine Reportage in einem südostanatolischen Flüchtlingslager für vom IS geflohenen Jesiden. Unterwegs ohne Fotografen musste ich selbst Bilder machen. Und da gab es auch in diesem Lager ein junges Mädchen, verdreckt aber mit diesen großen, tiefbraunen, ungetröstet fragenden Augen. Sie alle kennen solche Bilder. Und ich schäme mich heute, dass das von mir geschossene auch gedruckt wurde. Ein Foto gedacht als Apell. Seht her! So wird da gelitten! Aber solche Bilder und alle anderen dieser Art kippen in Polit-Kitsch. Das Abbild des Schreckens verführt uns zur (oft auch noch selbstgerechten) Sentimentalität. Man fühlt sich bewegt und bleibt am Ende doch allzu oft tatenloser Zuschauer.
Deshalb ist es anlässlich dieser Ausstellung wichtig, eine Unterscheidung zu treffen: Jan F. Welker bildet den Schrecken der Welt eben nicht ab. Er verwandelt die (fotografische) Abbildung in Gemälde. Und genau das macht den Unterschied. Und zwar für einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn, der über den Informationsgehalt des Abbildes entscheidend hinausgeht.
In der Metamorphose vom naturalistischen Ablichten zur malerischen Konstruktion verschafft Jan F. Welker uns Betrachtern einen anders nicht vorhandenen Zeit-Raum der Reflexion, in dem der „Inhalt“ eben nicht mehr nur das sichtbare Leid ist, sondern sich in einen künstlerischen Gehalt erweitert. Und der stellt uns die peinliche Frage: Was machen die Bilder des Grauens wirklich mit uns?
In ihrem Buch „Das Leiden anderer betrachten“ stellt Susan Sontag dazu fest: „...Fotografien von Kriegsopfern sind selbst eine Art von Rhetorik. Sie insistieren. Sie vereinfachen. Sie agitieren. Sie erzeugen die Illusion eines Konsensus.“ Und genau mit diesem dann doch wieder besänftigenden Konsens bricht der Maler Jan F. Welker.„Wir sind zutiefst erschüttert!“ Sagen wir. „Ach wirklich?“ Fragen uns seine hier zu sehenden Arbeiten.
Jan F. Welkers Bilder sind eben nicht eine malerische Verdoppelung der fotografisch abgebildeten Wirklichkeit. Zu was sollte das auch gut sein? Nein. In der Verschiebung vom einen ins andere Medium erst erfährt der Horror eine Verarbeitungsform die statt Starre Handlungsmöglichkeiten eröffnen könnte.
Welkers Werke lassen sich lesen als die gespenstischen Wiedergänger der von uns durch die und mit den (Ab-) Bildern verdrängten Realität. Sie sind trotz ihrer Farbigkeit oft kreidebleich. Mit sichtbaren Schlieren des Arbeitsprozesses, mit einem Sich-Winden des Wirklichen. Farben tropfen auf der Bildfläche, auf der der das Martyrium des Lebens stattfindet. Zu sehen sind die Tränen des Gemäldes. Esweint. Stellvertretend für uns. Wir haben es längst verlernt. Undgenau das ist es, was wir bei Welker sehen lernen können: Uns selbst angesichts des Grauen im Spiegelbild.
Zum Werk von Jan F. Welker gehört die Auseinandersetzung mit den Mythen des Kinos als der Wirklichkeit gleichberechtigt, wenn nicht sogar sie übersteigende Realität. Die Bilder dieser Ausstellung versperren uns die Ausflucht, gegenüber dem uns zu sehr Bedrängenden ins gut gepolsterte Interieur einer Sentimentalität des Weltekels zu nehmen. Sie verstricken den Betrachter ins nicht zu kündigende Bündnis mit dem (zweideutigen) Triebgrund der Wirklichkeit.
Als ob sie es gestern geschrieben hätte. Noch einmal zwei Schluss-Sätze aus Susan Sontags Essay: „Wir begreifen nicht. Wir können uns einfach nicht vorstellen, wie furchtbar, wie erschreckend der Krieg ist; und wie normal er wird.“
Dass wir es uns nicht vorstellen können, das genau machen uns die Gemälde von Jan F. Welker eindringlich deutlich. Und am Ende erkennen wir uns vielleicht im brustvernarbten, ziemlich verrenkten Teddy aus dem Jahr 1930 wieder. Teddys schauen dich an. Wollen gekuschelt werden.
Thomas Milz, Stuttgart, den 6. Okt. 2024